Nachruf

Sasaki Genso Roshi

Sasaki Genso Roshi begegnete 1967 dem Zenmeister Sogen Omori Roshi und wurde sein Schüler. Vier Jahre später trat er als Laie der Zen-Gemeinschaft seines Lehrers bei, und Sogen Omori Roshi bestätigte ihn 1983 als Zen-Meister. 1984 gründete Sasaki Genso Roshi in Tokyo das 'Ryuun-Zendo' ('Ryu' heißt 'Drache', 'Un' heißt 'Wolke' und 'Zendo' heißt 'Zen-Weg'). Dort praktizierte und unterrichtete er Zazen, Koan-Schulung, Teisho, Hitsuzendo (Kalligraphie), Hojo (Schwertkampf), Samu (Arbeiten) und Betteln.

Es war im Jahr 1990, als er mit seinen 42 Jahren zum ersten Mal in ein Flugzeug stieg und ins Ausland reiste. Es war eine dramatische Zeit, nicht nur für ihn. Kurz vorher war sein Vater gestorben, an Krebs. Anfang 1989 starb der Tenno Hirohito, ebenfalls an Krebs, und das ganze Land trauerte tief. Im Frühjahr wollte er mit seinen Schülern zu den Zen-Klöstern in China fahren, alles war bereits geplant, doch in China brach die Revolte aus und die Reise mußte kurzfristig abgesagt werden. Das war sehr bitter für ihn, er wollte so gern dorthin und allein wäre er auch gefahren, aber seine Schüler konnte er nicht in Gefahr bringen, und die Regierung hatte stark gewarnt vor Reisen nach China. Schade, sehr schade, aber er konnte nicht fahren. Im Herbst wurde dann in Berlin die Mauer eingerissen, und auch in Japan saßen die Menschen wie gebannt vor den Fernsehern. Ein großer Wendepunkt in der Weltgeschichte, und auch im Leben des Meisters. Im November kam aus Deutschland, ganz unerwartet, die Einladung, dort, im fernen München, ein Sesshin zu leiten, im Tannenhof. Nach einigem Nachdenken sagte er zu und im Frühjahr 1990 flog mit einem seiner jungen Schüler über Seoul und Anchorage nach Frankfurt, dann weiter mit dem Zug nach München. Eine lange Reise, und nach dem Sesshin versprach er, bis zu seinem Tod immer wieder zu kommen. Im Jahr 1991 gründete Sasaki Genso Roshi in München das erste Ryuun-Zendo in Europa. Er kam dann jedes Jahr zu mehreren Sesshin nach Europa, sie fanden vor allem im Tannenhof, in Scheibbs und im Waldhaus statt. Das letzte Sesshin konnte er im Februar 2018 in Scheibbs leiten. Vor wenigen Tagen, im Februar 2019, ist Sasaki Genso Roshi in Tokyo gestorben.

Ein bekannter japanischer Dichter verfaßte kurz vor seinem Tode das folgende Gedicht:

tabi ni yande
yumewa kare no o
kakemeguru

krank auf der Reise
nur Träume ziehen weiter
über dürres Feld

Ein großer chinesischer Zen-Meister schrieb das folgende Testament-Gedicht:

mugen no kuge
rokuju shichi nen
hakucho enmotsu su
shusui ten ni tsuranaru

Träume, Illusion, leere Blume
siebenundsechzig Jahre
ein Schwan versinkt, ein Hauch
HerbstWasser fließt zum Himmel voller Blau

In einem seiner letzten Teisho sagte Sasaki Genso Roshi:
"Roshi ist ein großer Räuber. Dies ist eine Liebestat. Der Roshi-Räuber nimmt vom heiligen Martin den ganzen Mantel, auch die Hose und Unterhose und lässt ihn ganz nackt weiterziehen, ganz befreit. Wenn wir den Räuber in unser Haus einladen, öffnen wir ihm die Tür. Bitte Roshi, nehmen Sie! Nehmen Sie alles, ohne Rest! Dann können auch wir über unseren bisherigen Stand hinausgehen, hinter unsere bisherige Sicht schauen, unsere Perspektive wenden. Schlagartig befreit. Danke Roshi! Ja, ich danke euch auch. Wenn ihr ganz offen seid, sind alle Welten eure Augen. Auge zu Auge, Hand zu Hand, Körper zu Körper, Ki zu Ki, alle Welten zu allen Welten. Universale unglaubliche Symphonie erklingt!"

Und an einer anderen Stelle sagte er:
"Wie können wir in Zukunft miteinander in Europa praktizieren? Fundamental ist der Kern der Lehre, ein wahrer Meister, und die Begegnung von Mensch zu Mensch zwischen Meister und Schüler. Die reiche europäische Geschichte, die vielfältigen Kulturen und Traditionen können ganz andere Formen hervorbringen und bestehende verwandeln. Der gleiche Baum in Europa und in Japan wird aufgrund des Klimas und des Bodens anders wachsen und gedeihen. Er wird sich ganz natürlich mit den Bedingungen verwandeln. Ihr seid da ganz frei. Das ist wunderbar. Eure Gemeinschaft ist der Weg selbst und der aller Seienden. Schon zwei Wegfreunde gründen eine Gemeinschaft. Nicht die Anzahl ist entscheidend, sondern euer unermüdlicher Einsatz und eure vollkommene Hingabe. Eine größere Sangha ist nicht immer gleich besser, oft verhält es sich sogar umgekehrt. Entscheidend ist euer Brennen für die Übungspraxis, das Brennen des Einen entzündet den Anderen, ihr Brennen entzündet ihn, sein Brennen entzündet dich.  In unserer Gemeinschaft gibt es keine Hierarchie, sondern nur Rollen. In einer wahren Gemeinschaft gibt es keinen Neid, keinen Streit, kein Konkurrenzdenken. Übergebt euch der Flamme der Hingabe und verbrennt euer Verbrennen."

In tiefer Trauer, und mit großer Dankbarkeit,
seine Schülerinnen und Schüler in Europa